„Ich fahre immer mit dem Bürgerbus zum Einkaufen. Es ist so toll, dass es dieses Angebot gibt. Ich bin sehr dankbar dafür“, sagt Rosemagrete Annelea Thiel. Die Seniorin hat keinen Führerschein, ihr Mann ist pflegebedürftig und ihr Sohn kommt abends erst spät von der Arbeit – und die Zeiten, als Mengsberg noch einen Supermarkt mit Metzgerei hatte, sind auch schon einige Jahre vorbei. „Aber Einkaufen muss doch sein. Und ich will doch auch mal etwas sehen und ein bisschen Zeit haben, um mir die Angebote anzuschauen“, betont sie und bezeichnet es als wahres Geschenk, dass es in Neustadt den Bürgerbus gibt.
Soeben haben ihr Fahrer Wolfram Ellenberg und Gerd Leißner, der das Angebot gemeinsam mit Reinhold Mann koordiniert, beim Einsteigen ins Fahrzeug geholfen. Die erste Tour des Tages hatte die Mengsbergerin genutzt, um aus ihrem Heimatort nach Neustadt in den Kaufpark zu kommen. Nun geht es zurück in Dorf – mit vollgepackten Tüten, die ihr die beiden Männer natürlich sofort abgenommen haben und die sie ihr später bis vor die Haustür tragen werden. Denn selbstverständlich wird jemand, der nicht mehr gut zu Fuß ist, bis nach Hause gefahren. „Ist doch logisch. Das gehört bei uns zum Service“, sagt Ellenberg.
Der Bürgerbus ist schließlich nicht nur ein Fahrzeug, mit dem Menschen im Alltag geholfen wird, um sie zum Arzt oder zum Einkaufen zu bringen. Nein, er gibt insbesondere Seniorinnen und Senioren ein stückweit Unabhängigkeit zurück und ist zudem auch noch ein Ort der Menschlichkeit, der Nähe, des Austauschs. Während der Fahrten wird geplaudert: über die Geschehnisse in der Stadt, über Klatsch und Tratsch oder was sonst gerade die Leute beschäftigt. Während der ersten Tour sei es beispielsweise um Beerdigungen gegangen, berichtet Ellenberg – der als Fahrer manchmal also auch ein bisschen Seelsorger ist und dessen offenes Ohr den Fahrgästen guttut. Der Bürgerbus stärkt also auch das soziale Gefüge im gesamten Stadtgebiet.
Mitfahren ist kostenlos und ohne Anmeldung möglich
„Das sind alles ganz tolle Leute. So nett und hilfsbereit“, schwärmt auch Rosemagrete Annelea Thiel von den insgesamt 13 Fahrern, die dienstags und donnerstags mit dem Bürgerbus durch Neustadt, Speckswinkel, Momberg und Mengsberg touren – mal mit zahlreichen Fahrgästen, mal aber auch nur mit einzelnen. So wie in diesem Fall. „Das macht aber nichts. Wenn wir nur einem Menschen helfen, haben wir doch schon etwas erreicht“, sagt Ellenberg, während seine Mitfahrerin auch den finanziellen Aspekt herausstellt: Eine Taxifahrt in die Kernstadt sei ja nicht ganz billig, daher sei es ein zusätzlicher Vorteil, durch den Bürgerbus Geld sparen zu können.
Die Fahrten sind kostenlos, wobei Spenden gerne genommen – und auch gerne gegeben werden, wie Leißner einwirft. Das Gesamtprojekt läuft unter Federführung des Bürgervereins „Wir für uns“, wobei auch Bürgermeister Thomas Groll voll des Lobes für das Angebot ist. Er freue sich sehr, dass immer mehr Menschen den Bürgerbus nutzen: Gerade für ältere Menschen ohne eigenes Auto oder Kinder vor Ort sei der Bürgerbus extrem wichtig. Ein weiteres Zeichen der Wertschätzung: Die Martin-von-Tours-Schule zeichnete die Bürgerbus-Abteilung des Bürgervereins im Jahr 2020 mit ihrem Schulpreis aus.
Eine Anmeldung zum Mitfahren ist nicht notwendig. Insgesamt werden auf den vier Touren dienstags und donnerstags rund 30 Haltestellen angefahren, wobei es einige gibt, an denen noch nie jemand ein- oder ausgestiegen sei, so Ellenberg. Diese von den Touren zu streichen, komme aber aus rein pragmatischen Gründen nicht infrage: Wenn das geschehe, müssten alleine schon die überall hängenden Fahrplan-Schilder erneuert werden – und das sei einfach eine Frage der Finanzen.
Und die nutzen die Verantwortlichen des Projektes lieber anders: Vor wenigen Wochen investierten die Neustädter 49.000 Euro in ein gebrauchtes Elektro-Fahrzeug. Den „alten“ Bürgerbus hatte das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie und Verkehr im Jahr 2019 zur Verfügung gestellt. Allerdings sei das Dieselfahrzeug für die eher kurzen Strecken „nicht wirklich geeignet“ gewesen, heißt es von Vereinsseite. Zudem habe es immer wieder Reparaturkosten verursacht. Und da nun die fünfjährige Zweckbindung ausgelaufen sei, habe die Suche nach einer Alternative begonnen – und sei im Elektrobus gemündet.
Der Fahrkomfort sei noch mal ein ganz anderer, schwärmt Ellenberg. Und die Zahl der Fahrgäste sei seit der Umstellung im April auch noch etwas gestiegen, fügt Leißner hinzu. Im Jahr 2020 (dem ersten kompletten „Betriebsjahr“) nutzten 850 Menschen den Bürgerbus, in den Folgejahren waren es 1.048 (2021) und 1.453 (2022). Die 2.000er-Schwelle wurde dann im Jahr 2023 mit 2.002 und 2024 mit 2.030 Fahrgästen geknackt. Einen Zuwachs würden sich die Projekt-Verantwortlichen vor allem noch in Mengsberg wünschen. Allerdings sind sie sich durchaus bewusst, dass es Menschen von dort zum Einkaufen oder auch zum Arzt traditionell weiterhin vornehmlich in die Schwalm zieht.
Ein Erfolgsmodell, das auch andernorts gewünscht wird
Angeboten werden aber nicht nur die regulären Fahrten: Während der Corona-Pandemie ruhte der Betrieb, stattdessen gab es einen Einkaufsservice. Zudem wurde mehrere Jahre lang die Kindertafel in Stadtallendorf angefahren. Ganz aktuell gibt es einmal im Monat Sonderfahrten zu den Mittagstischen in den Stadtteilen, Fahrten für die Kitas Neustadt und Momberg, Fahrten ins Hallenbad Mengsberg zur Wassergymnastik sowie zu Seniorennachmittagen. Außerdem ist der Bus für die Kirchengemeinden unterwegs. „Wir helfen eben, wo wir können“, sagt Ellenberg.
Doch nicht nur in Neustadt sind Bürgerbusse ein wichtiger Teil der Mobilität, sondern auch in zahlreichen anderen Kommunen im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Alleine im Ostkreis gibt es auch noch ebenfalls sehr erfolgreiche Bürgerbus-Projekte in Amöneburg und Kirchhain. Und im Wohratal steht ein Bürgerbus bei den Menschen weit oben auf der Wunschliste. Das zeigte jüngst eine Umfrage, in der es um Wünsche und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ging.